DER MITFÜHLENDE HUND

(Eine Geschichte über politische Verhältnisse, moralische Vorstellungen und die Grenzen der Kommunikation)

 

Auf einer Insel inmitten des rauen Ozeans, fernab von allen Ländern von denen wir wissen, lebten nur Wölfe und Hunde, abgesehen von allerhand Kleinstgetier, das den Hauptbewohnern als Nahrung diente. Die Insel war in zwei große Reviere eingeteilt: das Revier der Hunde und das Revier der Wölfe.

 

Die Wölfe hatten ein gutes Leben. In ihrem Revier gab es üppigen Dschungel, fruchtbare Hügel voll saftgrünem Gras und Steppenland, so weit das Auge reichte. Es gab Nahrung für alle, denn die Jagdbeute gedieh hier prächtig. Im Wolfsrevier lebten Wölfe und Hunde gleichermaßen, doch da man sie äußerlich kaum voneinander unterscheiden konnte und es ausreichend Futter gab, störte sich niemand daran. Kaum ein Wolf oder Hund machte sich die Mühe, genauer hinzuschauen und darüber nachzudenken, ob das Tier, das einem begegnete, nun ein Hund oder ein Wolf war. Es ging allen gut, also waren alle gleich.

 

Im Hunderevier war das Leben jedoch weniger angenehm. Auch hier mochte es wohl gleichermaßen Wölfe und Hunde geben, doch fast alle waren sie äußerst abgemagert, und das war auf dieser Seite der Insel der Grund, warum man Hunde und Wölfe im Revier nicht unterscheiden konnte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen litten alle Hunger, also waren auch sie alle gleich.

 

Der Grund, warum es im Hunderevier nicht genug Nahrung gab, war unklar. Es mochte daran liegen, dass ihr Land weniger fruchtbar war und weniger Kleingetier dort lebte, das die Hunde fressen konnten. Aber es gab auch Gerüchte, dass die Bewohner aus dem Wolfsrevier nachts heimlich Nahrung aus dem Hunderevier raubten, so dass die Futterbestände im Hunderevier aufgebraucht wurden und die Futterbestände im Wolfsrevier erhalten blieben. Hin und wieder kam es Berichten zufolge auch vor, dass Wölfe ihnen interessant erscheinende Landstriche des Hundereviers überfielen und einige Hunde bei diesen Angriffen starben. Das führte zu Unmut und Protest. Aber auch die Hunde selbst machten sich das Leben schwer und führten Kämpfe untereinander, wobei es wohl eher die Wolfartigen unter ihnen waren, die diese Kämpfe anzettelten. Dabei stahlen sie sich dann gegenseitig ihr Fressen. Nein, es war ein Glück, im Wolfsrevier geboren worden zu sein, dort waren alle satt und konnten unbehelligt leben. Und wer im Hunderevier geboren worden war, ach, der hatte ein schweres Los zu tragen, denn das Risiko war groß, an Hunger oder Krankheit zu sterben oder in eine Auseinandersetzung zu geraten und dabei sein Leben zu verlieren.

 

Im Wolfsrevier kamen ein Hund und eine Hündin zusammen und unterhielten sich...(...)

 

Leseprobe beendet